Vom Viehhirten zum Fleischlieferanten

Der Norden Kenias und insbesondere das County Marsabit erleben gerade die zweite schwere Dürre in diesem Jahrzehnt.

Nach der Katastrophe im Jahr 2011 könnte – bei aus­bleibendem Regen im März und April – 2017 wieder ein Jahr der Nothilfe werden.

Nach der ersten schweren Dürre wurden von Seiten der internationalen EZ-Organisationen, vom kenianischen Staat und von vielen NROs Programme, Projekte und Maßnahmen gestar­tet, um eine Wiederholung einer solchen humanitären Katastrophe zu verhindern.

Seit Jahren wird versucht, eine Verhaltensänderung bei den Pastoralisten herbei zu füh­ren. Die Herden sollen frühzeitig durch Verkauf verkleinert werden, um wenige Tiere leich­ter durch die Dürreperioden zu führen, und zudem sollen die Nomaden durch mehr Geld­mittel in die Lage versetzt werden, einfacher die Notzeiten zu überbrücken, um dann noch Geld für das „Restocking“ zur Verfügung zu haben, wie uns ein Teilnehmer unserer Schulungen erklärt:

Aus unserer Sicht geht es beim Verkauf von livestock nicht um die Umsetzung einer rein rational begründbaren Entscheidung, sondern um eine sehr emotionale, möglicherweise auch angstbesetzte Abkehr von fundamentalen Glaubenssätzen der pastoralistischen Kul­tur, wie uns der Viehhirte Nekeru Abara erklärt:

Livestock is the heritage my father left to me. Before he died he told me: ´It is the key to your life you have to take it seriously. You have to look after it and you have to multiply it. Only then you will survive! Our lives depend on livestock. Livestock is our moving bank.”

Der Verkauf von Tieren ist also in den Augen vieler Pastoralisten nicht ein ökonomisch sinnvol­ler und gewinnbringender Schritt, sondern das Eingeständinis des Scheiterns und die Auf­gabe von Sicherheit. Nicht umsonst warten viele Nomaden bis zum allerletzten Mo­ment, bevor sie ihre Tiere verkaufen. Das ist häufig zum Höhepunkt einer Dürreperiode und so­mit zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Sie fällen offensichtlich völlig unlogische, nicht zweckrationale Entscheidungen (Daniel Kahneman), was den Verkauf generell und den Termin im Be­sonderen angeht.

Was tun?

Wir wissen, dass man eine zweckrationale und sinnvolle Verhaltensänderung niemandem aufoktroyieren kann. Aus unserer Sicht sollte man neue Verhaltensmuster nicht einfach präsentieren, sondern Erfolgsgeschichten emotional erfahrbar werden lassen. Und zwar – wenn möglich – in einem „Life Experiment“. Konkret: Zwei ausgewählte Nomaden einer Community erhalten je eine kleine Herde, z.B. 60 Ziegen und Schafe. Die Bedingung: die Tiere werden nach Diskussion und Absprache mit der Community und einem lokalen Livestock Marketing Experten gehalten und vermarktet. Spezielle Trainings zu den Themen Livestock marketing, Geldwirtschaft und Tiergesundheit müssen das Experiment begleiten. Das Geld aus den Verkäufen der Tiere wird auf den entsprechenden Mpesa Konten angespart, um den Dürrezyklus mit den lebensnotwendigen Ausgaben zu überstehen. Da wir bereits in Nordkenia in verschiedenen Communities arbeiten und an den Stand­orten Loiyangalani und Hurri Hills auf existierende Infrastruktur mit Tablets, eBooks und Barfußlehrerin­nen zurückgreifen können, halten wir es für sinnvoll, hier zu starten. Unsere Projekterfahrungen zeigen, dass die Pastoralisten die moderne Technik mit Begeisterung annehmen und von der Community ausgewählte Barfußlehrer/innen das Wissen verbrei­ten.

Jetzt erst recht!

Nothilfe allein wird nicht reichen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Wir suchen Institutionen, die uns bei unserem geplanten Vorhaben unterstützen.

 

Uli Schwarz und Petra Dilthey