Öffentliches Drama und die Frage nach der Intimität

Uns überrascht, dass Aufnahmen aus der Geburtsklinik im Film (s.o.) als Eingriff in die Intimssphäre der Gebärenden kritisiert werden. Diese Kritik trifft uns aus folgendem Grund: Bevor wir gedreht haben, haben wir uns der Zustimmung aller Beteiligten (!) mehrfach (!) versichert – eben weil wir die Menschen, mit denen wir drehen, mögen und sie so behandeln, wie wir gerne behandelt werden möchten. Anders können und wollen wir nicht arbeiten.

Die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, ist: Wo hört Dokumentation auf und ab wann fängt Voyeurismus an? Eine Frage, für die es keine endgültige Antwort gibt und über die wir – als Filmemacher – sehr individuell entscheiden, mit keinerlei Garantie für die Richtigkeit. Aber vielleicht ist es sinnvoll, sich noch einmal einige Daten und Fakten zum Thema zu vergegenwärtigen: Geburten waren bis weit ins 20. Jahrhundert eine lebensgefährliche Angelegenheit für das Kind und die Gebärende. So sank die Zahl von Todesfällen auf 100.000 Lebendgeburten von 300 auf nur noch 8 bis 10.

In den sog. Entwicklungsländern ist das bis heute so geblieben s. Zitat:

„In Entwicklungsländern stirbt in jeder Minute eine Frau während der Schwangerschaft oder bei der Entbindung, das heißt, dass täglich insgesamt 1.400 Frauen an schwangerschaftsbedingten Ursachen sterben – mehr als eine halbe Million Mütter pro Jahr. 99 % dieser Todesfälle treffen Frauen in Entwicklungsländern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt dieses Sterben der Mütter eine „unsichtbare Epidemie“. Sie müsste sich nicht ereignen – die meisten der Todesfälle sind auch in den Ländern des Südens vermeidbar.“

Das ist die Realität, die jede Schwangere in Kenia kennt. Sie weiß von Todesfällen in ihrer Verwandtschaft oder ihrem Freundeskreis oder dem dörflichen Umfeld oder Slum. Sie kennt die Frauen, Verwandten oder Freundinnen, die so gestorben sind. Die Hebamme Mary Mambo sagt es in dem Film selbst. Das ist die gesellschaftliche Realität, das ist das ÖFFENTLICHE DRAMA.

Unser Eindruck von den Frauen im Schwangerschaftszentrum und vor allem von den jungen Müttern war, dass Sie durchaus stolz darauf waren, dass Sie gefilmt oder photografiert wurden.

Vielleicht geht es bei der Kritik ja um die unterschiedlichen Perspektiven der Zuschauer. Wenn Gebären so sicher wie der Flug in den Urlaub erscheint, dann stellt man sich automatisch die Frage, ob man selber bei diesem schmerzhaften, wenig eleganten Vorgang gefilmt werden will. Wenn es aber so ist, dass eine Gebärende aus einem Slum die gefährliche Geburt in einer geschützten Umgebung mit professioneller Unterstützung erleben darf, ist sie möglicherweise so glücklich, dass ihr das „Gefilmt werden“ gar nicht als Problem erscheint.

Petra, die alleine die Geburt gefilmt hat, hat sich Stunden danach noch einmal mit der jungen und glücklichen Mutter unterhalten und sich noch einmal (!) versichert, dass alles ok sei. Uns liegt daran, keine verbrannte Erde zurück zu lassen. Wir wollen wieder kommen dürfen, weil es uns interessiert, was aus der jungen Mutter und ihrem Sohn geworden ist.

Petra Dilthey und Uli Schwarz